Meine Heimat zu finden, ohne zu suchen

Auf dem Bild: Oktober 2010 - ein Moment, der mich für immer geprägt hat. Direkt nach dem Abi ging es für mich zurück zu meinen Wurzeln nach Vietnam für 6 Monate in ein Tempel (Chùa Bồ đề Long Biên Hà Nội)

Podcast-Folge bei Dreierlei

Ich durfte Anfang November bei den Mädels von Dreierlei Podcast eine Folge aufnehmen, in der es um meinen Werdegang ging. Wir haben über die Gründung unserer Agentur geredet, das Arbeitsleben mit kulturellem Background, prägende Momente bis hin zur Suche nach Heimat und Identität gesprochen. Dabei wurde ein Thema aufgegriffen, bei dem ich so viele Nachrichten erreicht haben. Dass es so vielen ähnlich geht mit der Suche nach Heimat und Identität, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, hätte ich nicht erwartet.

Ich werde jetzt nicht die ganze Folge wiedergeben, du kannst sie gerne HIER anhören und nicht vergessen den Mädels eine 5-Sterne-Bewertung zu hinterlassen. Für mich übrigens eine absolute Podcast-Empfehlung, wenn du dich auch für popkulturelle und gesellschaftliche Themen interessierst und mal aus drei Perspektiven, nämlich von Laura, Anne und Linda hören möchtest.

In der Folge hatte ich u.a. betont, dass die Jugendzeit für mich nicht so eine schöne Zeit war und wie ich es gehasst hatte, Vietnamesin zu sein und dass ich mir gewünscht hatte, deutsch zu sein... Puh, wenn ich das so schreibe, fühlt sich das so komisch an.. ich hab es gehasst, Vietnamesin zu sein.

Verkehrte Hierarchien

Während all meine Freundinnen während der Kindergarten und Schulzeit ein eigenes Zimmer hatten in einem großen Haus, haben sich meine Mama, Schwester und ich ein Zimmer in einer 2-Zimmer Wohnung geteilt, während Papa im Wohnzimmer schlief. Auf Kindergeburtstagen hatten sich die Mamas meiner Freundinnen so viel Mühe gegeben.. es gab tolle Spiele, Aktivitäten, die Eltern waren bei den Geburtstagen mit dabei, während es bei mir Frühlingsrollen und Pommes gab und der TV als Geburtstagsprogramm lief.

Ich habe es gehasst Vietnamesin zu sein, weil ich mich geschämt habe für das was wir waren und hatten.

Für das Essen, für die kleine Wohnung und dafür, dass meine Eltern nicht gut deutsch konnten und ich immer übersetzen musste. Ich hatte bereits in meinem Book Club mich geöffnet und davon erzählt, wie das Buch “Auf Erden sind wir kurz grandios” mir so Flashbacks an meine Kindheit gegeben hat.

In dem Buch thematisiert der Autor ebenfalls seine Migrationsgeschichte als vietnamesischer Einwanderer in Amerika, wie er seiner analphabeten Mama das Lesen beibrachte. Die verkehrte Hierarchie, wie ein Sohn seine Mama erzieht und damit die Komplexität der Identitäten, die ohnehin schon vorgezeichnet waren in dem weißen Land.. puh.

Ich erinnere mich noch an meine ersten Besuche bei Behörden, Bankinstitutionen, Lehrergespräche, usw.. Ich wurde so schnell in die Rolle als Dolmetscherin geschmissen und musste Verantwortung für meine Eltern tragen und übernehmen. Aber wie denn, wenn ich als Kind so viele deutsche Fachebegriffe nicht verstehe (übrigens bis heute nicht) und auch nicht den Wortschatz im Vietnamesischen hatte?

Wie denn, wenn ich doch einfach nur Kind sein wollte und wie sollte das denn alles gehen, wenn ich doch einfach deutsch sein wollte.. denn meine deutschen Freundinnen müssen sich nicht mit solchen Themen beschäftigen.

Die konstante Sehnsucht nach Heimat und Identität

Deutsch zu sein, heißt keine Probleme zu haben. Das war meine Definition davon. Und heute weiß ich, dass das nicht stimmt, denn jetzt mal unabhängig von der Ethnie und ob Migrationshintergrund oder nicht…jeder Mensch hat ein Päckchen zu tragen. Für mich war das als Jugendliche nicht so einfach, das differenziert zu betrachten, denn zwischen zwei Kulturen aufzuwachsen war damals eine Last für mich, weil ich es nicht verstanden habe. Ich wollte dazugehören, nicht anders sein, deutsch aussehen, mich zugehörig fühlen.

Weil ich nicht verstanden habe, wer ich bin und woher ich komme.

“Wer sucht, der findet nicht. Wer nicht sucht, wird gefunden” - Franz Kafka

Ich beschäftige mich mittlerweile gerne mit meinen Wurzeln, möchte so vieles aufsaugen, mitnehmen, lernen und weitergeben. Egal wo ich bin - ob in Deutschland oder Vietnam - ich habe immer Sehnsucht nach beiden Ländern, weil ich beides bin. Wie schön ist der Gedanke, dass mein Körper und mein Sein über Grenzen hinaus existiert.. Deutschland und Vietnam trennen geografisch gesehen tausende von Kilometer und doch bin ich hier und bin grenzenlos.

Finden hat so etwas endgültiges für mich und ich will noch nicht enden.

Finden werde ich erst, wenn ich nicht mehr auf dieser Welt bin. Ich find die Reise der Suche ist schon lebenswert und es ist schön zu wissen, dass ich diese Reise mit meinen Mitmenschen teilen darf. Zu wissen, dass ich nicht alleine bin, wir damit verbunden sind und uns das verbindet.. hm, dafür lohnt sich diese Reise schon :)

Während ich früher mich so missverstanden gefühlt hatte und meine Eltern und ich so aneinander vorbei geredet haben, blicke ich heute auf meine Mama und meinen Papa, die in manchen Hinsichten deutscher sind als ich (Plottwist).

Und jetzt während ich diese Zeilen schreibe, erwische ich mich dabei, wie ich vergesse, dass nicht nur wir Migrantenkinder das Schicksal mit der Identitätssuche teilen, sondern, dass unsere Eltern sich auch erstmal auf der Suche begeben mussten. Es liegen Welten zwischen meinen Eltern von vor 15 Jahren und heute.

Heimat - Der Duft meiner Vorfahren

Weißt du was ich schön finde? Die Definition von Heimat auf Vietnamesisch: Quê Hương. Linguistisch gesehen, lässt sich das Wort "quê hương" (Heimat) im Vietnamesischen aus zwei Wörtern frei übersetzen: "quê" = Heimat und "hương" = Duft.

Meine Mama meinte, dass hinter dem Wort quê hương eine noch tiefsinnigere Bedeutung steckt und wir damit "der Ort, in dem deine Vorfahren geboren wurden" meinen.

Heimat ist der Duft meiner Vorfahren. Wir haben alle unsere Heimat gefunden, ohne sie zu suchen.


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